Einstieg Ingenieur nach fachfremder Tätigkeit/Sprachstudium

Auch im Berufsleben steht man immer wieder vor Herausforderungen und Problemen. Die könnt ihr hier diskutieren.
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Serious Business
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Einstieg Ingenieur nach fachfremder Tätigkeit/Sprachstudium

Beitrag von Serious Business »

Hallo und Grüße ans Forum,

ich bin seit einiger Zeit stiller Mitleser und habe mich nun entschlossen aufgrund einer Frage bezüglich meiner Zukunftsplanung mich hier anzumelden.

Der Text könnte etwas länger werden aber um etwaige Verständnisfragen zu vermeiden und zur Verdeutlichung der Gesamtsituation erzähle ich auch mit wie es zu allem kam. Ich möchte auch nicht irgendwie Mitleid erhaschen, auch wenns eventuell so rüberkommt. Es gibt schließlich genug Menschen auf der Welt die just in diesem Moment gerade verhungern oder durch Kriegstreiberei abgeschlachtet werden. Ich bin für jeden Ratschlag bezüglich meiner Situation dankbar

VORGESCHICHTE:
Meine Kindheit und Jugend war nicht so toll (alleinerziehender Vater und Stiefmutter die sich beide gehasst haben, waren nur zusammen dass sie nicht allein waren. Ich war Ventil für Dampfablass, täglich Schläg und allem was dazu gehört). Dadurch mein leben lang durchgehend psychisch fertig. War im Jugendknast zwecks Drogen und Raubüberfall (Erstmalige Jugendstrafe, wurde nach 2 Jahren aus dem Führungszeugnis gestrichen dadurch sauberes Führungszeugnis jetzt). Später war ich ne Weile obdachlos weil ich abgehaun bin. Erst als mein Drecksvater endlich an Krebs verreckt ist wurde mir eine eigene Unterkunft vom Amt bezahlt. Ab da gings endlich bergauf.

SITUATION:
Nach nen paar Kombimaßnahmen und etwas psychischer Erholung habe ich dann mit 22 eine Ausbildung angefangen und diese 2009 abgeschlossen. Eine Ausbildung zum Industriemechaniker (war Schule gut 1,9er realschule). ich habe diese Ausbildung aber einfach nur so gemacht um irgendetwas zu haben. ich hatte in meinem ganzen Leben nie die Möglichkeit zu reflektieren und überhaupt zu hinterfragen was ich eigentlich tun möchte. Quasi bin ich gut 10 Jahre in meiner Entwicklung hinterher. (Nur durch intensive Beschäftigung mit Psychologie, Neuroscience, Politik und dem FIAT Geld/Wirtschaftssystem in meiner Freizeit im Laufe der letzten 10 Jahre konnte ich überhaupt noch zu einem halbwegs eigenständig denkenden Menschen heranreifen.)

Nach meinem Facharbeiter wurde ich in der Firma übernommen und habe dort 2 Jahre gearbeitet (2009-2011), parallel dazu habe ich meine allgemeine Hochschulreife an einem Abendgymnasium nachgeholt (2009-2012). Ich wusste, dass sich aufgrund der Globalisierung die Arbeitsverhältnisse für schlecht qualifizierte extrem verschlechtern werden würden. Als ich 2012 fertig war hätte ich am Liebsten Sprachen studiert oder Psychologie. Da ich aber bereits 28 war, fühlte ich mich genötigt Maschinenbau zu studieren (Diplom Ingenieur - kein Bachelor), dass es quasi aufgrund meines hohen Alters noch bei Personalern durchgeht. Quasi roter Faden erkennbar. Zudem bin ich der Fachkräftemangellüge anheim gefallen.

Nun ist es so, dass es mir von Anfang an keinen Spaß gemacht hat. Es ist absolut bedeutungslos für mich irgendetwas zu optimieren oder zu konstruieren, nur damit irgendwelche reichen Wichser noch reicher werden, während an anderen Orten der Welt massenweise Menschen an unsauberem Wasser verrecken nur um das drecks Zinseszinssystem und damit Herrschaftsstrukturen länger aufrecht zu erhalten. Ich habe während des Studiums mehrmals versucht mich umzubringen und damit meine ich nicht Hilfeschreie a la "ich schlitz mir Pulsadern quer auf - seht her - Hilfe" und denke wenn ich hier bleibe und auch in dem Beruf zieh ichs irgendwann durch. Naja, ich habe niemanden und bin nicht abgesichert. Daher habe ich mir doch durchs Studium durchgebissen, schreibe jetzt momentan meine Diplomarbeit bei einem großen Automobilhersteller und schließe mein Studium in Regelstudienzeit ab mit diversen Zusatzqualifizierungen und einem mittelmäßigen Schnitt ~2,5 und 10.000 € Bafög Schulden, welche ab 2020 fällig werden.

Mein bester Freund welchen ich schon über 15 Jahre kenne hat chinesisch studiert und arbeitet nun in Taiwan als Lehrer an einer Privatschule. Wir skypen fast täglich und er erzählt mir alles über seinen Arbeitsalltag und das tägliche Leben da. Das geht seit nunmehr 2 Jahren so (also seit Mitte meine Studiums). Was sollich sagen, ich bin extremst begeistert davon, habe auch als Nachhilfelehrer neben Studium dann gearbeitet und es erfüllt mich so unfassbar viel mehr als diese sinnlose Gewinnmaximierung in irgendwelchen Konzernen. Er meinte, dass er einige Schulen kennt die Deutschlehrer suchen (Privatschulen, die Anforderungen würde ich erfüllen also mit Arbeitsvisum) und auch Englischlehrer (es gibt Möglichkeiten auf Umwegen da auch ein Visum für zu bekommen, auch ohne Muttersprachler zu sein). Er würde mir dabei helfen eine Stelle zu finden (natürlich nichts garantiert sondenr nur Stellensuche), ich habe zu großen Teilen im Gegenzug seine Bachelorarbeit geschrieben. Ich habe angefangen während meines Studiums chinesich zu lernen und die Sprache an sich fasziniert mich auch (diese Verständnisentwicklung von Bedeutungen eines Wortes, zB. Frau + Kind zusammen ergeben das Wort "gut" 好, während 2 mal Frau das Wort für "Argument" bilden , naja ich schweife ab....). Außerdem habe ich eine englisch TOEIC Zertifizierung gemacht (bin als native level C1 eingestuft, also höchste was geht).

FRAGE:

Da mein Studium bald zu Ende ist muss ich mir jetzt Gedanken machen wie es weiter geht. Ich habe mich für ein Sprachstipendium beim DAAD beworben für ein 1 jähriges chinesisch Studium in Taiwan - Kaohsiung. Auch falls es abgelehnt wird, würde ich aus eigener Tasche (habe durch Nebenjobs circa 7 k € zammgespart) das Sprachstudium machen wollen (15 Stunden wöchentlich) und in der restlichen Zeit versuchen dort irgendwie Fuß fassen zu können als Sprachlehrer (mit Unterstützung meines Freundes und einiger Taiwaner die ich kenne). Die Arbeitszeiten in den Buxibans (besagte Sprachschulen) überschneiden sich glücklicherweise nicht mit denen meines Sprachstudiums. Mit allem zusammkratzen was ich habe und Hilfe vom Kollegen komme ich etwa 2 Jahre über die Runden da, dann muss ich zurück nach Deutschland falls ich kein Fuß fassen kann bis dahin. Ich wäre zu diesem Zeitpunkt dann bereits 34 und hätte keine relevante Berufserfahrung und wäre schon 2 jahre raus aus dem Studium. Hätte ich dann überhaupt noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt ? (wäre auch bereit in andere Länder zu ziehen) - Zu diesem Zeitpunkt und in dieser Situation könnte ich dann natürlich fast fließend chinesisch. Wiegt chinesisch eventuell die 2 Jahre raus aus dem Studium ohne relevanten Job wieder auf, klar Konstruktion fällt flach, aber mein Ihr es bietet sich noch so was wie technischer Vertrieb oder Qualitätsingenieur ? In einem etwaigen Vorstellungsgespräch: Könnte ich so argumentieren, dass ich nur ein Sprachstudium da gemacht habe um mich besser auf internationale Kompetenzen im technischen Vertrieb vorzubereiten, also quasi als weiterqualifizierung oder nimmt man mir das nicht ab ? Meine größte Angst ist Zeitarbeit/Zwangsarbeit verordnet durch Jobcenter, andererseits keine Ahnung ob ichs überhaupt durchhalten würde in einem derart menschenfeindlichen und ignoranten Umfeld mit all seiner neoliberalen Heuchelei.


PERSÖNLICHES:

Wie Ihr seht stehe ich ziemlich auf em Schlauch und bin auch kein Typ der einfach alles so ausblenden kann, leider bin ich doch an physische Bedürfnisse wie Nahrung und Wohnung gebunden, so dass ich irgendwo ein gesundes Mittelmaß finden muss welches ich mir von der Taiwan Aktion erhoffe (haben viele Austauschstudenten hier aus Taiwan und finde sie sind in der Regel auch weniger soial kalt). Ich hadere sehr mit meiner Selbstwahrnehmung:
-Bin ich ein naiver Idiot und Traumtänzer oder soll ich das Vorhaben wagen?
-Sind meine Selbstzweifel berechtigt oder bin ich einfach depressiv ?

- Ich habe nicht vor Kinder zu bekommen, da ich es als verantwortungslos und egoistisch sehe in eine Welt mit 8 Milliarden Menschen nur nen weiteren Arbeitssklaven zu erschaffen, wenn ich ihm kein schönes unabhängiges Leben bieten kann. Ich will niemand verurteilen sondern nur klar stellen, dass Ihr das nicht berücksichtigen müsst bei Eurer Empfehlung.

edit: dass ich die anze Vorgeschichte vor der Ausbildung nicht reinschreib in Lebenslauf sondern einfach irgend eine gefakte Tätigkeit reinschreibe ist natürlich klar


Vielen Dank fürs Lesen und die Zeit die Ihr euch nehmt für andere Menschen mit diesem Forum.
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TheGuide
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Beitrag von TheGuide »

Wenn ich dich richtig verstanden habe, hoffst du in Taiwan Deutschlehrer werden zu können? Hast du denn didaktische Fertigkeiten? Wie tolerant sind taiwanesische Institutionen gegenüber mangelnder formaler Qualifikation?
Ich kann dir nur sagen, dass ich Leute kenne mit abgeschlossenem Studium in Germanistik und einer Fremdsprache, die keine formale Qualifikation als DaF- bzw. DaZ-Lehrer* haben, weil ihnen der enstprechende zulassungsbeschränkte Master fehlt.


*Deutsch als Fremd- bzw. Zweitsprache
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FRAGEN
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Re: Einstieg Ingenieur nach fachfremder Tätigkeit/Sprachstud

Beitrag von FRAGEN »

Hallo Serious Business!
Serious Business hat geschrieben:ich bin seit einiger Zeit stiller Mitleser und habe mich nun entschlossen aufgrund einer Frage bezüglich meiner Zukunftsplanung mich hier anzumelden.
Hmmmm... lange Texte sind natürlich kein Problem. Trotzdem möchte ich gleich vorab schicken, dass "Zukunftsplanung" eigentlich nicht Thema dieses Forums ist. Ich weiss auch nicht, wie viele hier die Berufsaussichten von älteren Berufseinsteigern als Ingenieure mit und ohne chinesische Sprachkenntnisse wirklich realistisch einschätzen können. Hier gäbe es sicher kompetentere Anlaufstellen - Berufsverbände zum Beispiel oder auch Fachforen von und für Ingenieure. Ganz unabhängig davon wäre vielleicht auch ein persönlicher Coach oder Psychologe nicht verkehrt - jemand, der Dir hilft, Deine Gedanken und Prioritäten etwas zu ordnen. Wenn ich mir Deine Schilderungen so betrachte (habe den ganzen Text schon mehrfach gelesen), bekomme ich zumindest nicht alles sauber übereinander...
Serious Business hat geschrieben:Nun ist es so, dass es mir von Anfang an keinen Spaß gemacht hat. Es ist absolut bedeutungslos für mich irgendetwas zu optimieren oder zu konstruieren, nur damit irgendwelche reichen Wichser noch reicher werden, während an anderen Orten der Welt massenweise Menschen an unsauberem Wasser verrecken
War das der Grund, aus dem Dir das Studium keinen Spass gemacht hat? Oder sagt Dir tatsächlich die Technik als solche nichts? Ich frage deshalb, weil Konstruktion und Optimierung vom Prinzip her ja nichts mit "reichen Wichsern" zu tun haben. "Konstruktion" wäre z. B. ja auch die Entwicklung einer mobilen Wasseraufbereitungsanlage... und "Optimierung" könnte deren Vereinfachung sein, um sie für die arme Zielgruppe erstens bezahlbar und zweitens leicht zu warten und reparieren zu gestalten. Und dank des "dreckigen Zinseszinsprinzips" könnte solch ein Gerät für die Endverbraucher auch schon mit relativ geringem Eigenkapital zu finanzieren sein. Das nur als völlig beliebiges Beispiel aus Deinen eigenen Betrachtungen. Wenn Du in einem Ingenieursforum nach aktuellen Themen zu nicht-profitorientieren bzw. gemeinnützigen Konstruktionsaufgaben (und ggf. auch Organisationen, die in diesen Bereichen arbeiten) fragen würdest, kämen sicher viele Anstösse, auf die Du selber nicht gekommen wärst...
Serious Business hat geschrieben:Mein bester Freund welchen ich schon über 15 Jahre kenne hat chinesisch studiert und arbeitet nun in Taiwan als Lehrer an einer Privatschule.
Ich kenne mich in Taiwan aber überhaupt nicht aus... aber in meiner Vorstellung heisst "Privatschule" dort ebenfalls "reiche Wichser"... und zwar noch sehr viel reichere als die, die hier vielleicht einen mittelständischen Maschinenbaubetrieb leiten... insbesondere im Verhältnis zur Normalbevölkerung vor Ort. Das heisst weder etwas gegen Deinen (mir ohnehin unbekannten) Freund, noch gegen Deine Begeisterung für seine Berichte. Es ist nur der Hinweis, dass es hier möglicherweise einen gewissen Zielkonflikt zwischen sozialem Anliegen und sprachlichem Interesse geben könnte. Auf der anderen Seite sehe ich den Zielkonflikt zwischen sozialem Anliegen und konstruktivem Interesse absolut nicht zwingend. Es gibt ja nicht nur Konzerne, die auf Gewinnmaximierung hin ausgelegt sind - sondern gerade in Deutschland halt auch die vielen nicht-börsennotierten Familienbetriebe, die Nachhaltigkeit und soziale Haltung gross schreiben... vermutlich mehr als irgendwo sonst in der Welt. Gerade in Südostasien ist der Kapitalismus meines Wissens SEHR viel weniger abgefedert als hier.
Serious Business hat geschrieben:Wiegt chinesisch eventuell die 2 Jahre raus aus dem Studium ohne relevanten Job wieder auf, klar Konstruktion fällt flach, aber mein Ihr es bietet sich noch so was wie technischer Vertrieb oder Qualitätsingenieur ?
Das kann ich nicht beurteilen. Was mir hier nur wieder auffällt: Im Vertrieb (gegen den ich auch nicht das Geringste sagen will) wärst Du ein sehr viel unmittelbarerer Diener des Kapitals als bei der Konstruktion. DA stüdest Du quasi als Person in vorderster Front der "Gewinnmaximierung" - und würdest hammerhart an Deinen diesbezüglichen Ergebnissen gemessen.
Serious Business hat geschrieben:andererseits keine Ahnung ob ichs überhaupt durchhalten würde in einem derart menschenfeindlichen und ignoranten Umfeld mit all seiner neoliberalen Heuchelei.


Welches Umfeld meinst Du jetzt? Wie gesagt: Was "Neoliberalität" angeht, ist Deutschland im Vergleich zu weiten Teilen der restlichen Welt nach wie vor (und wohl noch sehr lange) ein Wohnzimmer. Der vielbeklagte "Abstieg" in dieser Richtung ist nur der Vergleich zwischen "Deutschland früher" und "Deutschland heute". Wenn Du mit "Menschenfeindlichkeit" Probleme hast, solltest Du Dich m. E. von China fernhalten... ganz egal, wie reich die chinesische Sprache an philosophischer Symbolik ist...


Ich bin mir völlig im Klaren, dass das jetzt auch von mir eher unzusammenhängende Gedankensplitter als greifbare Ratschläge sind... aber irgendwie muss man ja anfangen... ;-)
Serious Business
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Beitrag von Serious Business »

TheGuide hat geschrieben:Wenn ich dich richtig verstanden habe, hoffst du in Taiwan Deutschlehrer werden zu können? Hast du denn didaktische Fertigkeiten? Wie tolerant sind taiwanesische Institutionen gegenüber mangelnder formaler Qualifikation?
Ich kann dir nur sagen, dass ich Leute kenne mit abgeschlossenem Studium in Germanistik und einer Fremdsprache, die keine formale Qualifikation als DaF- bzw. DaZ-Lehrer* haben, weil ihnen der enstprechende zulassungsbeschränkte Master fehlt.


*Deutsch als Fremd- bzw. Zweitsprache
Als DAF Lehrer natürlich habe ich keine ausreichende Qualifikation. Die Buxibans, also die Privateschulen, sind aber rein gewinnorientiert (ja, das beißt sich extremst mit meiner moralischen Kernaussage und Argumentationskette.) und man fungiert quasi als Werbefigur a la "Seht her, wir haben einen Westler der hier unterrichtet, bringt eure Kinder zu uns". Meine Kollege selbst hat auch keinerlei Qualifikationen ansonsten. An öffentlichen Schulen kann natürlich weder ich noch mein Kollege unterrichten. In Taipeh hat man auch an Privatschulen nich sooo gute Chance, da es überlaufen ist von Europäern. In "kleineren" Städten sieht es jedoch noch ziemlich gut aus. Von 15 Bewerbungen hatte mein Kollege 12 Zusagen, so dass er selbst viele davon wieder ablehnen musste.
Zuletzt geändert von Serious Business am 31.07.2016, 18:55, insgesamt 1-mal geändert.
Serious Business
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Re: Einstieg Ingenieur nach fachfremder Tätigkeit/Sprachstud

Beitrag von Serious Business »

FRAGEN hat geschrieben:Hallo Serious Business!

Hmmmm... lange Texte sind natürlich kein Problem. Trotzdem möchte ich gleich vorab schicken, dass "Zukunftsplanung" eigentlich nicht Thema dieses Forums ist. Ich weiss auch nicht, wie viele hier die Berufsaussichten von älteren Berufseinsteigern als Ingenieure mit und ohne chinesische Sprachkenntnisse wirklich realistisch einschätzen können. Hier gäbe es sicher kompetentere Anlaufstellen - Berufsverbände zum Beispiel oder auch Fachforen von und für Ingenieure. Ganz unabhängig davon wäre vielleicht auch ein persönlicher Coach oder Psychologe nicht verkehrt - jemand, der Dir hilft, Deine Gedanken und Prioritäten etwas zu ordnen. Wenn ich mir Deine Schilderungen so betrachte (habe den ganzen Text schon mehrfach gelesen), bekomme ich zumindest nicht alles sauber übereinander...
Danke für den Hinweis, vieleicht sollte ich das tun.


FRAGEN hat geschrieben:
War das der Grund, aus dem Dir das Studium keinen Spass gemacht hat? Oder sagt Dir tatsächlich die Technik als solche nichts? Ich frage deshalb, weil Konstruktion und Optimierung vom Prinzip her ja nichts mit "reichen Wichsern" zu tun haben. "Konstruktion" wäre z. B. ja auch die Entwicklung einer mobilen Wasseraufbereitungsanlage... und "Optimierung" könnte deren Vereinfachung sein, um sie für die arme Zielgruppe erstens bezahlbar und zweitens leicht zu warten und reparieren zu gestalten. Und dank des "dreckigen Zinseszinsprinzips" könnte solch ein Gerät für die Endverbraucher auch schon mit relativ geringem Eigenkapital zu finanzieren sein. Das nur als völlig beliebiges Beispiel aus Deinen eigenen Betrachtungen. Wenn Du in einem Ingenieursforum nach aktuellen Themen zu nicht-profitorientieren bzw. gemeinnützigen Konstruktionsaufgaben (und ggf. auch Organisationen, die in diesen Bereichen arbeiten) fragen würdest, kämen sicher viele Anstösse, auf die Du selber nicht gekommen wärst...
Wahrscheinlich sagt mir auch die Technik nichts. In dem Nachhilfelehrerjob fühlte ich mich mich viel glücklicher als beispielsweise im Praxissemester im Betrieb oder während meiner früheren Berufstätigkeit. Mehr Kontakt mit Menschen.

Zu dem anderen Punkt: So habe ich das noch gar nicht betrachtet, ich sollte wahrscheinlich wirklich mir klar darüber werden ob es mir wichtiger ist einer Arbeit mit Menschen nachzugehen oder ob es mir wichtiger ist moralisch das Richtige zu tun.
FRAGEN hat geschrieben: Welches Umfeld meinst Du jetzt? Wie gesagt: Was "Neoliberalität" angeht, ist Deutschland im Vergleich zu weiten Teilen der restlichen Welt nach wie vor (und wohl noch sehr lange) ein Wohnzimmer. Der vielbeklagte "Abstieg" in dieser Richtung ist nur der Vergleich zwischen "Deutschland früher" und "Deutschland heute". Wenn Du mit "Menschenfeindlichkeit" Probleme hast, solltest Du Dich m. E. von China fernhalten... ganz egal, wie reich die chinesische Sprache an philosophischer Symbolik ist...

Ich bin mir völlig im Klaren, dass das jetzt auch von mir eher unzusammenhängende Gedankensplitter als greifbare Ratschläge sind... aber irgendwie muss man ja anfangen... ;-)
zu 1)
naja in china is schon sehr hart, aber Taiwan geht da etwas andere Wege. Sozialsystem definitiv mit Deutschalnd vergleichbar und Krankenversicherungsschutz teilweise besser.

zu 2)
Ich meine vor allem auch das allgemeine soziale Klima wenn man so will. Vieleicht belüge ich mich auch nur selbst und mir geht es darum selbst ein bequemes Leben zu haben und rechtfertige es vor mir selbst mit moralischem Zeug. Alles was ich sagen kann ist, dass ich als Nachhilfelehrer sehr viel glücklicher war, der Arbeitsalltag meines Kolleges sich ähnlich anhört (habe alle lehrpläne und Unterrichtsmaterial bereits selbst angeschaut), ich raus will hier und ich mit den Taiwanern hier viieeeel besser klar kam als mit den meisten die ich sonst so kenne. Auf der anderen Seite geht auch ein Großteil meiner Zeit dafür drauf Überlegungen anzustellen bezüglich Verbesserung der Gesamtsituation (Beispiel: Ein Kommilitone und ich hatten/haben ein Kickstarterprojekt für eine Art modularisiertes Wasserkondensationssystem, läuft jedoch nur schleppend da hinten und vorne Zeit fehlt).

Zu Taiwan: Dieses gegenseitige selbstverständliche Helfen und dieses ganze "Guanxi" Ding hat schon was für sich. Klar ist das natürlich auch wieder fragwürdig, diese Aussage, kann man auch wieder sagen "Warum verhälst du dich nicht einfach normal immer so ?" Wahrscheinlich habe ich auch einfach Spaß daran anderen Menschen was beizubringen. Tut mir auch Leid falls ich ein Heuchler bin irgendwie, ersnthafte Revolutionäre würden mir wahrscheinlich ins Gesicht spucken :(. Das ich mir über meine persönliche Karriere bei eventuellem endgültigem Scheitern des Vorhabens in 3 Jahren jetzt schon Gedanken mache spricht jedenfalls dafür. Das Ding ist nur, ich habe bisher immer auf Safe gespielt und quasi nie das gemacht worauf ich Bock hatte aus Zukunftsängsten heraus (klar, lange Zeit wusste ich es auch gar nicht) und das Endergebnis hat mich nicht wirklich glücklich gemacht. Daher tendiere ich momentan dazu es einfach zu versuchen um mir nich später weitere Vorwüfe machen zu müssen.

Danke auf jeden Fall schonmal für die Zeit und die Anregungen. Ich will nicht schleimen aber FRAGEN, du bist definitiv eine der intelligentesten Personen die ich bisher im Netz getroffen habe.
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FRAGEN
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Beitrag von FRAGEN »

Ich hatte weder den Eindruck, dass Du heuchelst, noch den, dass Du Dich selbst aktiv belügt. Höchstens den, dass Du ein paar ganz verschiedene Wunschvorstellungen noch nicht abschliessend ins richtige Verhältnis zueinander gesetzt hast.
Serious Business hat geschrieben:In dem Nachhilfelehrerjob fühlte ich mich mich viel glücklicher als beispielsweise im Praxissemester im Betrieb oder während meiner früheren Berufstätigkeit.
Das wäre ja noch ein weiterer Punkt... und praktischerweise sogar einer, für den man weder Land noch Branche wechseln müsste.
Serious Business hat geschrieben:ich sollte wahrscheinlich wirklich mir klar darüber werden ob es mir wichtiger ist einer Arbeit mit Menschen nachzugehen oder ob es mir wichtiger ist moralisch das Richtige zu tun.
Soweit ich es sehe, gibt es dann jetzt vier Dinge, die Dich anziehen

- Arbeit mit Menschen/Pädagogik
- Umgang mit Sprachen
- Moralische Unbedenklichkeit
- Südostasiatische Kultur

Deiner eigentlichen Ausbildung scheinst Du relativ neutral gegenüber zu stehen: Ohne Liebe oder Hass gegenüber den eigentlichen Tätigkeiten; lediglich mit Ablehnung gegenüber kapitalistischen Auswüchsen...?
Serious Business hat geschrieben:Ein Kommilitone und ich hatten/haben ein Kickstarterprojekt für eine Art modularisiertes Wasserkondensationssystem, läuft jedoch nur schleppend da hinten und vorne Zeit fehlt
Davor ziehe ich den Hut - ganz ehrlich! Das hätte für mich jetzt so geklungen, als hättest Du bereits vorab eigeninitiativ begonnen, Dich quasi an den eigenen Haaren aus dem Mist zu ziehen?!? Zeit müstest Du nach dem Abschluss doch haben. Wäre es kein Gedanke, dieses Projekt dann erst einmal zum Ende zu bringen und Dich mit dieser Referenz dann bei einer idealistischen Organisation zu Katastrophenhilfe o. ä. vorzustellen? Vielleicht gibt es ja sogar so etwas wie "Ingenieure ohne Grenzen"? Oder eine Stiftung mit ähnlicher Zielsetzung? Wäre vielleicht auch einmal eine kleine Recherche wert...
Serious Business hat geschrieben:Zu Taiwan: Dieses gegenseitige selbstverständliche Helfen und dieses ganze "Guanxi" Ding hat schon was für sich.
Hmmmm... Du weisst von Asien sicher mehr als ich. Aber aus meinem zufälligen Aufschnappen bisher kam mir dieses "Guanxi"-Ding immer etwas ambivalent vor. So wie das rheinische "Mir kenne uns, mir helfe uns" aka "Kölscher Klüngel"... was unter den Beteiligten zwar eine sehr unbürokratische und effektive Unterstützung liefert... dies allerdings explizit (und vollkommen intransparent) zulasten der Nichtbeteiligten. Im Endeffekt also "Korruption", um es hart zu sagen...?!?
Serious Business hat geschrieben:Das Ding ist nur, ich habe bisher immer auf Safe gespielt und quasi nie das gemacht worauf ich Bock hatte aus Zukunftsängsten heraus (klar, lange Zeit wusste ich es auch gar nicht) und das Endergebnis hat mich nicht wirklich glücklich gemacht. Daher tendiere ich momentan dazu es einfach zu versuchen um mir nich später weitere Vorwüfe machen zu müssen.
Das sähe ich genauso. Gut wäre dabei nur, wenn (nach Möglichkeit vorab) eine Priorisierung der verschiedenen Zielvorstellungen gelänge... wobei man bei aller Faszination für das Neue und Unbekannte niemals vergessen sollte, auch das Naheliegende im Blick zu behalten... ;-)
Charlie Schmidt
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Registriert: 25.02.2016, 09:55

Beitrag von Charlie Schmidt »

Serious Business hat geschrieben: Die Buxibans, also die Privateschulen, sind aber rein gewinnorientiert (ja, das beißt sich extremst mit meiner moralischen Kernaussage und Argumentationskette.) und man fungiert quasi als Werbefigur a la "Seht her, wir haben einen Westler der hier unterrichtet, bringt eure Kinder zu uns".
Also für mich wäre das hier der Knackpunkt, den Du ja auch selbst schon erkannt hast. Kannst Du Dir wirklich vorstellen, für etwas, das Du völlig ablehnst, als Werbefigur zu agieren? Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein gewisses elitäres Gehabe im Kollegium vorherrschen könnte. Oder hat Dein Freund da anderes erlebt?
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